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Dreizehn Tage

1. Tag

Fra poco morirò purtroppo qui. Nun werde ich also doch hier sterben.“

Der Junge wäre beinahe vor Schreck selbst tot umgefallen, als er die Worte hörte. In der Überzeugung, es sei niemand hier drinnen, hatte er der Magd zu Gefallen Brennholz in die Stube getragen. Zunächst hatte er gar nicht gewusst, woher die Stimme eigentlich kam. Dann sah er den Alten, ein Häuflein Mensch nur noch im hohen Lehnstuhl und kaum sichtbar unter den Decken. Er wusste nicht, wie er seine bloße Anwesenheit im Haus erklären sollte. Zum Glück schien dem alten Mann gar nicht aufzufallen, dass er nicht an seiner Arbeitsstelle war.

„Gut, dass du hier bist, setz dich ein wenig her und vertreib mir die Zeit, Ragazzo. Der Tag will gar nicht vergehen, wenn man so krank darniederliegt.“

Wäre er doch bloß nicht in diese verdammte Kammer eingetreten! Er hatte sich unter einem Vorwand von der Baustelle weggeschlichen, in der Hoffnung, sich im Haus des Magistro wenigstens für einen Moment aufwärmen zu können. Aber auch wenn es draußen Bindfäden regnete und ein eisiger Wind durch alle Ritzen pfiff, so dass man glauben konnte, man sei schon tief im November und nicht erst im ersten Tag des September, jetzt wäre er doch lieber an dem ihm zugedachten Platz gewesen, hätte klaglos Steine geschleppt, nass bis auf die Knochen und die Schuhe schwer von der aufgeweichten, lehmigen Erde. Alles besser als hier in einem Sterbezimmer. Der Magistro hatte es ja selbst gerade gesagt, er lag im Sterben. Aber es half nichts, mit seiner vermeintlichen Schläue hatte er sich selbst in die Falle gelockt. Er musste gehorchen.

„Was stehst du denn noch herum, Ragazzo, komm her, nimm dir den Stuhl da und setz dich zu mir. Hier, nahe an meinen Sessel, dann können wir plaudern. Das Sprechen strengt mich zwar an, weil mich dann der verdammte Husten noch mehr plagt, aber vielleicht kannst du mir was erzählen. Du bist ja auch ein Grigione, so höre ich wenigstens die Sprache der Heimat. Hab mich doch nie recht an die harte Sprache hier gewöhnen können. Ich hab schon nach den Meinen schicken lassen, dass ich sie noch einmal sehe und nicht unbegleitet zu meiner letzten Ruhestätte gehe. Aber ich weiß nicht, ob sie’s noch in der Zeit schaffen werden. So musst du mir ein Stück Heimat ersetzen, Junge.“

Der Junge schwieg immer noch. Beim besten Willen brachte er keinen Ton heraus. Die warme, stickige Luft im Zimmer schnürte ihm die Kehle zu. Oder war es die Nähe des Todes? Er hatte noch nie einen Menschen sterben sehen.

„Ich will dir was zeigen. Geh 'mal an den Sekretär und öffnen die Lade. Na los, geh schon! Ja, und jetzt mach schon auf! Ganz zuoberst siehst du eine Zeichnung, die bring her. Da schau — weißt du was das ist?“

Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr der Meister fort: „Das ist eine Skizze für mein Grabmal. An dieser Stelle hab ich mir meinen Freund, den hochverehrten Signor de Gabrieli zum Vorbild genommen. Der hat auch noch auf seinem Krankenbett sein Grabmal selbst entworfen. Freilich ein viel prächtigeres als das meine. Aber hier, siehst du? Die Figur mit dem Zirkel — weißt du, was sie darstellt?“

Der Junge war sich nicht sicher und schüttelte vorsichtshalber den Kopf.

„Das ist die Baukunst, der ich mein Leben lang gedient habe. Der Herr de Gabrieli hat sie auch auf seinem Grabstein darstellen lassen. Aber bei allem gebotenen Respekt — ich finde, in meinem Entwurf ist sie besser geglückt.

Aus: Elisabeth Schinagl, Dreizehn Tage. Das Leben des Baumeisters Giovanni Domenico Barbieri von ihm selbst erzählt