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Die Staatsaffäre

Der Tag des offenen Denkmals hält diesmal etwas ganz Besonderes für mich bereit: ein königliches Liebesnest in der Gestalt eines einfachen Bauernhauses. Ich bin gespannt, was uns erwartet, und so machen mein Mann und ich uns an einem wunderbaren Spätsommervormittag auf zu einem kleinen Ausflug. Idyllisch am Isarhochufer direkt neben dem Gut Menterschwaige gelegen, das schon seit über hundert Jahren ein beliebtes Ausflugsziel für die Münchner ist, befindet sich eben dieses königliche Liebesnest. Hier träumte Ludwig I. also seinen Traum vom einfachen Leben, fernab der Etikette und buchstäblich vor Liebe blind für die Staatsräson und das politische Gesetz der Stunde.

Hier – damals vor den Toren Münchens und heute umgeben vom mittlerweile ziemlich noblen Stadtteil Harlaching – spielte sich eine Affäre ab, die die bayerische Monarchie beinahe zu Fall gebracht hätte: Die Affäre zwischen dem alternden Ludwig und der Tänzerin Lola Montez. In diesem unauffälligen, bescheidenen Haus trafen sich die beiden inkognito. Unauffällig wirkt das Haus auch heute noch – mit Ausnahme der rotlackierten Spitzen des Staketenzauns vielleicht, die man als Eingeweihter als dezenten Hinweis auf den damaligen Zweck dieses Refugiums verstehen kann.

Mein Mann und ich sind neugierig, eine Führung mit Vortrag war angekündigt, aber es stellt sich bald heraus, dass sich der ursprüngliche Plan so nicht umsetzen lässt, weil dauernd Leute dazu kommen. Historisch betrachtet gibt es ohnehin nicht allzu viel zu sehen. Ein Privatmann hat das Anwesen vor dem Verfall gerettet und liebevoll restauriert. Von der einstigen Ausstattung ist allerdings nichts mehr erhalten.

 

Das Leben als Event

 

Heute dient es als Veranstaltungsort für private Feiern, als 'Eventlocation', wie es im Prospekt so schön auf neuhochdeutsch heißt. Das erscheint mir durchaus passend als Reminiszenz an die Frau, die es wie kaum eine andere ihrer Zeit verstand, ihr gesamtes Leben als event zu inszenieren.

Die Affäre und auch die schöne, junge Tänzerin als Person sind zumindest in Bayern heute noch im kollektiven Gedächtnis. Weit weniger bekannt dagegen sind die Memoiren der Lola Montez, die sie (angeblich selbst) verfasst und ihrem verflossenen Liebhaber, dem bayerischen König Ludwig, gewidmet hat.

Lassen wir kurz die historischen Fakten Revue passieren: Lolas Weg führt sie durch halb Europa, bevor sie schließlich am 5. Oktober 1846 nach München kommt und sich um ein Engagement als Tänzerin bewirbt. Madrid, London, Paris, Berlin, Warschau Petersburg, Leipzig – diese und andere Stationen erwähnt sie und nennt sich deshalb in ihren Memoiren auch einen weiblichen Odysseus.

Weil der Intendant der Münchener Hofbühne sie nicht auftreten ließ, suchte sie den bayerischen König auf, der sie dann auch tatsächlich am 7. Oktober 1846 erstmals empfing. Was dann passierte, ist so recht nach dem Geschmack der Boulevardblätter: Der 60-jährige Monarch begann ein Verhältnis mit der 25-Jährigen. Schon einen Monat und zehn Tage nach ihrem Auftritt ließ er sogar sein Testament ändern und sah darin für sie eine Auszahlung von 100.000 Gulden vor, falls sie bei seinem Tod weder verheiratet noch Witwe wäre. Außerdem sollten ihr bis zu einer Verehelichung jährlich 2.400 Gulden gezahlt werden. Tatsächlich erhielt sie bis 1850, dem Ende des Verhältnisses, 158.084 Gulden, was nach heutigen Preisvorstellungen 2,3 Millionen Euro entsprechen würde. Selbstverständlich musste Lola als Geliebte des Königs auch nicht in dem bescheidenen Anwesen vor den Toren der Stadt hausen. Ludwig schenkte ihr als Wohnsitz ein Palais in der Barerstraße in München, wo sie im Juni 1847 einziehen konnte.

Es ist nicht weiter erstaunlich, dass die Bevölkerung darüber alles andere als erfreut war. Und es sollte noch schlimmer kommen: Der liebestrunkene Ludwig verlangte gegen den Widerstand seines Kabinetts, seiner Mätresse die bayerische Staatsbürgerschaft zu verleihen. Daraufhin baten im Februar 1847 alle Minister um ihre Entlassung, und Ludwig, wie gesagt, blind für jede Staatsräson kam ihrem Ersuchen prompt nach. Lola Montez aber wurde als Gräfin von Landsfeld eingebürgert. In der Stadt brodelte es, das Volk ging auf die Straße. Gegen seinen Willen musste Ludwig schließlich doch nachgeben und den Befehl erlassen, dass sie die Stadt zu verlassen habe. So flüchtete Lola Montez am 11. Februar 1848 in einer Kutsche unter den Augen der aufgebrachten Bevölkerung nach Lindau und schließlich weiter in die Schweiz. Soweit der historisch gesicherte Ablauf.

 

Die geheimnisvolle Unbekannte

 

Viel unklarer ist allerdings, wer diese Frau eigentlich war und woher sie ursprünglich kam. Sie selbst ist in ihren Memoiren nicht gewillt, das Geheimnis zu lüften.

Wer Lola Montez eigentlich sei, woher sie stamme usw. Darüber zerbrechen sich alle in- und ausländischen Journale den Kopf. Es dünkt uns dies sehr gleichgültig zu sein, denn wozu sollen Taufscheine, polizeiliche Aufenthaltskarten, Genealogien denn eigentlich dienen? Sie können den Wert einer Person weder schmälern noch erhöhen ... Ob sie als Lola Montez in Spanien das Licht der Welt erblickt oder als Betsey James in Irland, ob sie eine Landsmännin Cid´s oder O´Connells sei ... das kann im Grunde in ihrer Beurteilung nichts wiegen.

Mag ihre Herkunft auch im Dunkeln bleiben, eines ist gewiss: Lola Montez war eine Meisterin der Selbstinszenierung. Lange vor Erfindung der Seifenoper fabulierte sie sich ein Leben, das manch braven Bürger und, wohl noch viel mehr, manch brave Bürgerin, aber auch manch einfallslosen Drehbuchautor vor Neid erblassen lässt. Wer nun allerdings hofft, in den Memoiren pikante Details aus dem königlichen Liebesleben zu erfahren, wird enttäuscht. Nicht nur ein Gentleman genießt und schweigt – gleiches gilt offensichtlich auch für eine königliche Mätresse.

Faszinierend. Das ist das einzige Adjektiv, das mir in seiner ambivalenten Bedeutung passend für die Person Lola Montez erscheint. Faszinierend ihr zur Schau getragenes Selbstbewusstsein, das so gar nicht ins Rollenverständnis der damaligen Zeit passt, faszinierend ihre rein subjektive Sicht auf die politischen Geschehnisse, in der sie nicht im entferntesten gewillt ist, auch nur darüber nachzudenken, ob nicht auch ihre Gegner recht haben könnten, ob es nicht klüger wäre, zumindest ein Stück weit Rücksicht auf die herrschende Meinung zu nehmen, faszinierend schließlich ihre komplette Fehleinschätzung der politischen Lage.

 

Eine Staatsaffäre

 

Gut und Böse, schwarz und weiß, in den Memoiren sind die Fronten klar erkennbar. Hier die politischen Neider, die Intriganten und Ränkeschmiede, die sich gegen den König zusammenrotten, dort die Liebe zwischen dem schönheitsliebenden, großherzigen König und der Tänzerin, einem Naturkind, dem jede Heuchelei fern liegt. Das ist der Stoff, aus dem gut hundert Jahre später viele (Fernseh)Träume sind. Lola Montez versteht ihn schon lange vor dieser Zeit vortrefflich zu weben.

… wohl aber mögen wir der Vorsehung danken, dass durch Lola eine Änderung der Dinge eingeleitet worden ist. Die feindselige Partei hat sich selbst gestürzt, indem sie in Sieggewohnheit das Feld nicht räumen wollte, und in der Sucht, neue Vorteile zu erringen, ganz aus seiner (!) Stellung gedrängt wurde ... Gehört das etwa mit zum constitutionellen System, dass ein König nicht mehr die Freiheit haben darf, seinen Herzensneigungen folgen zu dürfen? ... Hatte der König nicht das Recht, über eine Vorstellung böse zu sein, welche in der Geschichte unerhört ist? Hat es je das Pabsttum, hatten es je die Päbste, frage ich, in der Zeit ihrer größten Gewalt gewagt, so mit Königen zu sprechen? ... Einem Monarchen mit dem Abfall seines Volkes, seines Heeres zu drohen, weil er seine Neigung einer fremden Dame zugewandt – das ist wahrlich tragikomisch.

Eine fatale Falscheinschätzung der Lage. Ludwig kostet die Affäre schließlich die Krone. Am 20. März 1848 tritt er nolens volens zurück, kaum ein Jahr später schreibt er ein Gedicht an die ehemalige Geliebte:

Hätt' ich doch nie und nimmer Dich gesehen!

Für die gegeben ich mein letztes Blut,

Durchdrangest mich mit namenlosen Wehen,

Du meines Lebens glühendste Liebesglut!

Lolas Leben aber gleicht auch nach ihrer unfreiwilligen Flucht aus München einem zügellosen Galopp. Auf der Jagd wonach? Reichtum? Ruhm? Luxus? Aufmerksamkeit? Abenteuer? Oder einer Mischung aus alledem und noch viel mehr?

 

Im rasenden Galopp

 

Aus Lola Montez wird zwar durch Heirat am 19. Juli 1849 in London Mrs. Heald, aber deshalb noch lange keine bürgerlich angesehene Frau. Im Gegenteil: Schon wenige Wochen später, im August, wird Lola der Bigamie angeklagt. Sie wird gegen Kaution freigelassen und flieht auf den Kontinent, macht wieder Station in Paris, wo sie ihre Memoiren verfasst. Von da führt ihr Weg nach Amerika. Sie tanzt in New York und New Orleans und macht sich schließlich in die Goldgräbersiedlung Grass Valley auf. Ein Umweg über Australien führt sie wieder zurück nach New York. Hier verbringt sie, zunehmend vereinsamt, schließlich ihre letzten Lebensjahre, bis sie am 17. Januar 1861 stirbt.

Bei der Zerrissenheit unserer Zeit, bei der Zerfallenheit aller Zustände, bei der Bewusstlosigkeit aller Gewissen habe ich überall nach einem Anhaltepunkte gestrebt, welcher sowohl der menschlichen Würde als unserer Bestimmung entspricht, und es ist nicht meine Schuld, wenn die Herren zuweilen einen Schwindel bekommen haben ...

Wer diese Frau tatsächlich war – wir werden es wohl nie erfahren. Aber gerade das macht wohl auch die Faszination ihrer Geschichte aus. Und in einem Punkt mag ich ihr nicht widersprechen: Der Ruf einer Frau ist oft nichts, als der Widerhall der Bosheit jener Männer, welche die Frauen so gern schwach und schlecht sehen und hinterher eine moralische Entrüstung heucheln.

© by Elisabeth Schinagl 2019

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